Dr. Hanne Leßau

Wissenschaftliche Mitarbeiterin & Kuratorin

NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln

Appellhofplatz 23–25 | 50667 Köln

museenkoeln.de/ns-dokumentationszentrum/

Teilnehmerin MUSEALOG 2014 | 2015

Ostfriesisches Landesmuseum Emden

Brückstraße 1 | 26725 Emden

Kursbuch MUSEALOG 2014 | 2015

Kuratorisch Arbeiten an historischen Orten

30. März 2022. Auf meiner To-do-Liste steht: „Rückfragen zu den Angeboten an die Tischlereien mailen; Zigarrenbox Nr. 02 neu ausmessen; den Karton mit den (Nitro)-Negativstreifen aus dem Tresorschrank holen und in der Arbeitstabelle vermerken, welche Fotos auf einem gemeinsamen Film-Streifen und folglich zeitlich nah beieinander aufgenommen sind (zweifelhafte Datierungen klarer kriegen!); Telefonat mit einem Referenten für eine Begleitveranstaltung zur Ausstellung führen; 14 Uhr Video-Gespräch mit der Ausstellungsgestalterin. Falls die Zeit reicht: mit dem Korrekturgang durch die vom Übersetzer eingetroffenen englischen Ausstellungstexte weitermachen.“

Die Aufgaben sind zahlreich und werden mit dem Näherrücken des Eröffnungsdatums immer unterschiedlicher: ein ständiges Hin- und Her zwischen Hand- und Kopfarbeit. Das gefällt mir – wie eigentlich alle Phasen der Ausstellungsentwicklung ihren Reiz haben. Bis zur Eröffnung verbleiben noch wenige Wochen. Dann wird im Ausstellungsraum des NS-Dokumentationszentrums in Köln die neue Sonderausstellung „Theo Beckers. Ein junger Nationalsozialist fotografiert Köln“ zu sehen sein, die sich einem Fotobestand aus der eigenen Sammlung widmet, der mehrere zehntausend Bilder eines Kölner Amateurfotografen umfasst. Ich rücke mit der Ausstellung die ersten Jahre dieses lebenslangen Hobbys in den Blick – als der junge Kölner Theo Beckers an Weihnachten 1933 seinen ersten Fotoapparat bekommt und sich dieses neue Medium parallel zu seinem zunehmenden Engagement für den Nationalsozialismus erschließt.

Es ist meine erste für diese Einrichtung kuratierte Schau. Das Haus ist seit den 1980er Jahren Gedenkstätte – am Sitz der ehemaligen Gestapozentrale des Gaues Köln-Aachen –, Ausstellungshaus, Forschungseinrichtung und wichtige Präventionsstelle gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus. Ich bin Ende 2020 zum Team dazugestoßen und zuständig für Ausstellungen und Begleitprogramme. 2020 war auch das Jahr, in dem meine Dissertation „Entnazifizierungsgeschichten. Die Auseinandersetzung mit der eigenen NS-Vergangenheit in der frühen Nachkriegszeit“ veröffentlicht wurde. Ein anderes berufliches Schlüsseljahr lag da sechs Jahre zurück: 2014 endete meine dreijährige Promotionsstelle – das Ende meiner Forschungsarbeit war da aber noch in weiter Ferne. Zugleich wollte ich endlich meinem Berufswunsch – Ausstellungen machen – näherkommen. Bis dahin hatte ich zwar in unterschiedlichen Projekten von Ausstellungshäusern mitgewirkt, aber eben vor allem mit Tätigkeiten, mit denen ich aus der Wissenschaft vertraut war: Recherchen, Katalogbeitrag verfassen, Konzeptentwicklung. In dieser Situation erfuhr ich von MUSEALOG und von einem Ausstellungsprojekt des Ostfriesischen Landesmuseums in Emden. Und mir war schnell klar: Das will ich machen! Museumspraktische Erfahrung sammeln, einige Monate Abstand von der Dissertation – und das in Norddeutschland.

Bei MUSEALOG 2014 | 2015 habe ich Laura Haendel kennengelernt, die dasselbe Wunschprojekt ausgewählt hatte, und, genau wie ich, in den acht Monaten von MUSEALOG am liebsten ein komplettes Ausstellungsprojekt von der Konzeption bis zur Umsetzung machen wollte – und genau das haben wir gemacht. Zusätzlich zu dem parallelen Kursprogramm haben wir viel von und miteinander gelernt. Während ich konzeptionell gearbeitet hatte, hatte sie museumspraktische Erfahrung. Im Auftrag des Ostfriesischen Landesmuseums Emden haben wir für das Bunkermuseum Emden – ein klassisches „wildes Museum“ – ein Ausstellungskonzept entwickelt, dem Vorstand präsentiert und die Zustimmung erhalten, eine Abteilung umzusetzen und zu eröffnen. Wir haben uns für die Räume entschieden, in denen wir Bunker als wichtige Sozial- und Herrschaftsräume während des Nationalsozialismus kenntlich machen wollten, und haben mit ausgewählten Exponaten und Zeitzeugnissen aus der hauseigenen Sammlung in drei Ausstellungsräumen die „Bunkergemeinschaft“ beleuchtet – in ihren Ein- und Ausschlüssen, ihren Bezügen zur Außenwelt, ihren Emotionen, ihrer gegenseitigen Kontrolle. Damals habe ich zum ersten Mal ein Drehbuch erstellt, Bildrechte geklärt, Exponatlisten angelegt, mich näher mit Typografie befasst, eine 3-D-Modellierung mit SketchUp gemacht, über Textkonzepte für Ausstellungen nachgedacht und meine ersten Ausstellungstexte verfasst.

MUSEALOG hat in mehrerlei Hinsicht wie eine Art Kompakt-Volontariat gewirkt. Im Herbst 2015 habe ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg angefangen. Dort waren die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen in wechselnden Konstellationen immer wieder auch kuratorisch tätig sowie jeweils zuständig für ein laufendes Aufgabenfeld wie Sammlung, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. In meinem Fall waren es Veranstaltungen. Seit 2016 habe ich für das Haus ein mehrjähriges Projekt durchführen können über die bis dato kaum erforschte Frage, was im Zweiten Weltkrieg mit dem Aufmarschgelände für die Reichsparteitage geschah. Hier entstand zwischen 1939 bis 1945 ein umfangreicher Komplex unterschiedlicher NS-Zwangslager. Ich habe sowohl die Forschungsarbeit von neun internationalen Rechercheur*innen koordiniert sowie aus den zusammengetragenen Quellen, Zeitzeugenkontakten und Objekten die Sonderausstellung „Das Reichsparteitagsgelände im Krieg. Gefangenschaft, Massenmord, Zwangsarbeit“ entwickelt. Die Schau wurde im Mai 2019 im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände eröffnet und war mit mehr als 45.000 Besucher*innen eine der meist besuchten Sonderausstellungen in der Geschichte des Hauses – ein wichtiges Zeichen der wenngleich späten Würdigung der Schicksale von Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus.

Dr. Hanne Leßau, November 2022